26. Juli 2023

Vivien Dieter: 14-Jährige träumt den Traum vom Fußballprofi

„Und dann gibt es Damen, die möchten gern Fußball spielen. Wenn sie auf solche Späße verfallen, wird es ernst“, schrieb einst der Journalist Richard Kirn. Wobei er es nicht dabei beließ: „Ich meine, diese originellen Wesen sollten, ehe sie aufs Feld stürmen, zuerst einmal das stille Sprechzimmer eines Psychiaters aufsuchen.“ Ein Spruch, für den Kirn heute einen Shitstorm geerntet hätte. Damals, Anfang der Siebziger, war Kirns Sicht Konsens.


Dass junge Frauen, die gerne Fußball spielen möchten, das einfach tun können, galt als undenkbar. Bis 1970 war der Frauen- und Mädchenfußball in Deutschland durch den Deutschen Fußball-Bund sogar verboten. Er galt als unschicklich, die kickenden Frauen wurden als „Mannweiber“ verlacht, beleidigt und diskriminiert. Erst 1974 wurde die erste deutsche Fußballmeisterschaft der Frauen angepfiffen, acht Jahre später folgte die Länderspiel-Premiere, eine Frauen-Bundesliga gibt es seit 1990. Ja, Fußball war eben sehr lange nur Männersache …


In den letzten Jahren machen „originelle Wesen“ wie Abwehrspielerin Marina Hegering, Torhüterin Merle Frohms oder Alexandra Popp, eine der besten Stürmerinnen der Welt, von sich reden. Sie avancieren – gerade nach den schwachen Leistungen ihrer männlichen Pendants – zu Lichtgestalten des deutschen Fußballs. Hoffnungsträgerinnen einer ganzen Nation, zu denen auch Vivien Chonticha Dieter einmal zählen könnte. Denn die 14-jährige Nachwuchsspielerin der TSG Hoffenheim hat einen Traum: Sie möchte Fußballprofi werden.

Vivien Dieter möchte Profi werden.
Foto: Helmut Pfeifer


Für ihr Alter hat „Vivi“, wie sie von allen genannt wird, bereits erstaunlich klare Vorstellungen. Ihre Trainerin Nadine Piltz, im Hauptberuf Lehrerin, lobt die junge Fußballerin für ihre Zielstrebigkeit. „Mit 14 sind noch nicht alle Mädchen so weit“, sagt die Pädagogin. An Vivien Dieter fällt ihr Ehrgeiz auf und dass sie genau weiß, was sie will. „Seit ich klein bin, will ich Fußballerin werden, bei Hoffenheim im Bundesligateam spielen und mal bei einer WM dabei sein“, erzählt das Nachwuchstalent.
Vivien Dieter wurde am 17. Januar 2009 in Mannheim geboren, wuchs in Schriesheim auf und wohnt seit kurzem in Weinheim. Bereits mit vier Jahren begann sie mit Fußballspielen, angespornt durch ihren Bruder Chawin, der aktuell bei der SG Heidelberg-Kirchheim in der U17 spielt.


Auch der Vater hat früher gekickt, bei der Spielvereinigung Ilvesheim. Mutter Warunee, die aus Thailand stammt, ist ein großer Fan ihrer beiden sportbegeisterten Kinder: „Ich fahre von Fußballplatz zu Fußballplatz.“ Angst, dass ihre Tochter sich übernehmen könnte, hat sie nicht. „Vivien macht das sehr gut. Sie ist fleißig und weiß, was sie möchte. Alle Kinder haben Träume, und wir Eltern helfen gerne, damit diese wahr werden können.“


Auch wenn sie gerne Basketball spielt und es zwischendurch mal mit Reiten probiert hatte – Viviens große Leidenschaft gilt dem runden Leder. Ab ihrem neunten Lebensjahr spielte sie bei der TSG Weinheim bei den Jungen und mit Gastspielrecht bei den Mädchen der SG Hohensachsen. Dass Mädchen zusammen mit Jungen in einer Mannschaft spielen, ist keine Seltenheit, finden sie doch oftmals nicht genug Mitstreiterinnen vor Ort. Jungs sind in der Regel schneller, aggressiver und zweikampfstärker – eine harte, aber auch gute Schule für den weiblichen Fußballnachwuchs, um sich später durchzusetzen.
Doch gerade jüngere Mädchen scheuen oft das gemeinsame Spiel mit den Jungs. „Es gibt da kein generelles Rezept“, sagt Nadine Piltz zu der Problematik. Ihrer Meinung nach kommt es auf die Strukturen bei den Jungen-Teams an. „Die Qualität des Trainings ist entscheidend“, so Piltz.


Im B-Juniorinnen-Bereich fände sie es hingegen nicht mehr sinnvoll, Mädchen und Jungen zusammenspielen zu lassen, da die U17-Fußballer zu robust und oft zwei bis drei Köpfe größer als Mädchen seien. Der DFB plant jedoch gerade die Abschaffung der B-Juniorinnen-Bundesligen – für Piltz keine gute Entscheidung, vor allem, solange kein passendes Folgekonzept gefunden ist.
Bei der TSG Hoffenheim gibt es im weiblichen Bereich nur reine Mädchenmannschaften. Vivien Dieters U15-Team spielte in der letzten Saison in der Kreisliga Heidelberg gegen gemischte Teams – und wurde Letzter. Auch hier war der geschlechtsspezifische Unterschied frappierend, denn spielerisch standen die Hoffenheimerinnen ihren Gegnern meist in nichts nach.


Zudem lief die TSG mit vielen Spielerinnen aus dem 2009er Jahrgang, also dem jüngeren U15-Jahrgang, auf – so wie Vivien Dieter. In der kommenden Saison dürfte sich die U15 somit besser schlagen. „Da die Jungs schneller sind, müssen wir lernen, den Ball früher abzuspielen“, erklärt die junge Hoffenheimerin.
Dass sie bei der TSG gelandet ist, war ihr persönlicher Wunsch. Durch Spiele in der badischen U14-Auswahl knüpfte sie erste Kontakte. Im Dezember 2018 absolvierte sie bei TSG-Trainer Frank Marx ein Probetraining und konnte überzeugen. „Es war aufregend, ich war sehr nervös, aber es hat Spaß gemacht.“ Bei so einem Probetraining kann sich eine ganze Karriere entscheiden, ein großer Druck für die jungen Mädchen.

Vivien Dieter am Ball. Foto:
Markus Friedel


Da Vivien Dieter noch für Weinheim spielte, konnte sie in Hoffenheim nur trainieren und Testspiele bestreiten, aber vor der Saison 2022/23 wechselte sie dann endgültig zur TSG. „Es macht hier einfach großen Spaß“, sagt die junge Fußballerin. Die Trainingsbedingungen seien optimal, und getreu dem Konzept von „Anpfiff ins Leben“ ist auch eine schulische Betreuung möglich.


Und welche Vorbilder hat Vivien? Ihrer Position als Innenverteidigerin entsprechend, nennt sie Luana Bühler, „weil sie so zweikampfstark ist und sehr gut kommuniziert“. Die Nationalspielerin, die zum WM-Aufgebot der Schweiz gehört, verlässt nun allerdings das Bundesliga-Team der TSG und wechselt nach England zu Tottenham WFC. Aus dem Mutterland des Fußballs kommen die anderen Vorbilder von Vivien Dieter. Außenverteidiger Reece James vom FC Chelsea und der defensive Mittelfeldspieler Declan Rice von West Ham United sind die Fußballer, denen sie nacheifert. Beeindruckt hat sie aber auch die deutsche Nationalspielerin Melanie Leupolz vom Chelsea WFC, die eine gute Übersicht habe, stark im Zweikampf sei, aber auch ein Team zu führen weiß. „Ich schaue bei den Männern viel englische Liga im Internet, die mag ich mehr als die Bundesliga.“

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Das liege unter anderem an der tollen Atmosphäre in den englischen Stadien. Auch einmal in einer vollen Arena zu spielen, die Fans, die Atmosphäre zu spüren, all das ist eine große Motivation für Vivien. Dass sie mit dem U15-Team beim Hallenturnier um den Girls-Snow-Cup in Gehlenbeck, der inoffiziellen deutschen U15-Meisterschaft, gewinnen konnte, sei ein unvergessliches Erlebnis. „Die Eltern hatten Hoffe-Schals, haben uns angefeuert und bei jedem Sieg sind unsere Mitspielerinnen auf den Platz gerannt und wir haben uns alle umarmt.“


Was bewegt eine 14-Jährige mit so klaren Zielen? Welche Ängste hat sie? Vivien Dieter denkt an einen Muskelfaserriss, den sie vor einem halben Jahr erlitten hat. „Ich war drei Monate außer Gefecht, das hat mich schon ein bisschen nachdenklich gemacht, dass es mit dem Fußball auch mal schnell vorbei sein könnte.“ Damals bangte sie um die Teilnahme an einem DFB-Lehrgang, zu dem sie es dann gerade noch rechtzeitig schaffte. „Oft denke ich auch darüber nach, ob es mir wirklich gelingen wird, Profi zu werden, oder ob ich noch mehr machen könnte, um mein Ziel zu erreichen.“


Für eben dieses große Ziel nimmt Vivien einen straff organisierten Tagesablauf mit wenig Freizeit in Kauf. Um 6.15 Uhr klingelt im heimischen Weinheim der Wecker, um 7.10 Uhr geht es mit der Bahn zum Kurpfalz-Gymnasium nach Schriesheim, wo sie derzeit die achte Klasse besucht. „Ich möchte auf jeden Fall Abitur machen, mich aber dann auf Fußball konzentrieren“, schildert Vivien Dieter, die mal damit geliebäugelt hat, Architektin zu werden, ihre Pläne.


Die Schülerin weiß: Mittlerweile können zwar viele Bundesligaspielerinnen vom Fußball leben, die Professionalisierung schreitet dennoch relativ langsam voran. Daher ist es kein Wunder, dass es in der zweiten Bundesliga von Schülerinnen, Studentinnen und Berufstätigen nur so wimmelt. Sie sind einer Doppelbelastung ausgesetzt, deren Bewältigung Respekt abverlangt.


Und auch Viviens Schultag kann schon mal bis 16.15 Uhr gehen. Montag, Mittwoch und Donnerstag ist Training bei der TSG Hoffenheim im Förderzentrum für Frauen- und Mädchenfußball in St. Leon-Rot. Meist 90 Minuten, mit Athletik- und Krafttraining sind es schnell zwei Stunden. Fürs Fahren müssen ihre Eltern herhalten oder auch die Eltern ihrer Fußball-Freundin Madita Röhrl. Da kann schon mal aus Zeitmangel im Auto gegessen werden, für andere Hobbys bleibt wenig Raum. Vivien Dieter ist für die Unterstützung der Familie sehr dankbar. „Sie machen alles, damit ich in Hoffenheim sein kann, ohne sie wäre das kaum möglich.“


In der Schule ist die Resonanz auf sie als Fußballerin durchwachsen. „Manche sagen, bei den Mädchen spielen, das kann doch jeder, andere wiederum finden es cool.“ Generell würde sich Vivien Dieter mehr Anerkennung für den Frauen- und Mädchenfußball wünschen. Dass der DFB die deutsche Futsalmeisterschaft für Mädchen aus Geldgründen gestrichen hat, es den Wettbewerb für die Jungen aber weiterhin gibt, findet sie richtig blöd. „Die meisten sind mehr an Männerfußball interessiert, sie glauben, dass die Frauen schlechter spielen und schauen es sich deshalb nicht an.“


Die Frauen-EM 2022 hat mit ihrem Zuschauerboom aber das Gegenteil bewiesen. Nun beginnt in der kommenden Woche die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland. Ein Pflichtprogramm für Vivien Dieter. „Ich werde die Spiele auf jeden Fall gucken. Ob das deutsche Team gewinnen wird, weiß ich nicht, aber es wird bestimmt gut werden.“ Weite Reisen, auch das ist ein Traum von Vivien Dieter – mit der TSG Hoffenheim und dem Nationalteam.

Michael Rappe

(Der Artikel erschien am 15. Juli in der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung)

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