3. August 2023

Historische Pleite

Der 3. August 2023 wird als rabenschwarzer Tag in die deutsche Fußball-Historie eingehen. Zum ersten Mal scheidet ein deutsches Frauenfußballnationalteam bei einer WM nach der Vorrunde aus. Bei den bisherigen acht Turnieren war es immer mindestens bis ins Viertelfinale gegangen. Das 1:1 (1:1) gegen Südkorea reichte nicht, weil Marokko im Parallelspiel etwas überraschend durch einen Elfmeter 1:0 gegen Kolumbien gewann. Die Nordafrikanerinnen stehen im Achtelfinale, Deutschland muss nach Hause fliegen. Ein Spielbericht mit Kommentar von FiDo-Redakteur Michael Rappe.

Nach 15 Minuten Nachspielzeit herrschte Schockstarre beim DFB-Team. Leere Gesichter, Tränen, die ersten Kommentare waren von Ratlosigkeit geprägt. „Wir wollen Weltmeister werden“, hatte es unisono im Trainingslager in Herzogenaurach geheißen. Nun ist es legitim, wenn sich Sportler:innen ein hohes Ziel setzen. Wer geht schon mit dem Gedanken an eine Niederlage ins Turnier? Angesichts der Länderspiele des Jahres 2023 und vor allem des Verlaufs der Vorbereitung waren allerdings Zweifel erlaubt.

Mit viel Zuversicht waren die DFB-Frauen in die Partie gestartet. Doch schon nach wenigen Minuten wurde klar, dass dies ein ganz schwieriges Spiel werden würden. Südkorea, zuvor mit zwei Niederlagen und ohne eigenes Tor, stellte sich nämlich nicht hinten rein, sondern traf schon in der dritten Minute den Pfosten und drei Minuten später nach einem katastrophalen Stellungsfehler der Innenverteidigung zum 0:1. Die deutsche Elf wirkte fahrig, unsicher und überrascht von der aggressiven Zweikampfführung der Mannschaft von Colin Bell. Zwar brachte Marina Hegering bei ihrer Rückkehr durchaus Stabilität, dafür erwischte Kathrin Hendrich einen rabenschwarzen Tag. Chantal Hagel spielte einen Fehlpass nach dem anderen.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg.
Foto: Thomas Boecker/DFB

Im Mittelfeld lief nichts zusammen, weil Sara Däbritz das Tempo verschleppte und Zweikämpfe verlor. Selbst Lena Oberdorf konnte nicht die Impulse setzen wie noch gegen Kolumbien. Über die Außen kam die eine oder andere gelungene Aktion, weil Svenja Huth diesmal etwas offensiver agierte. Lea Schüller und Alex Popp bekamen als Doppelspitze dennoch zu wenig „Futter“. Der beste Spielzug führte zum 1:1. Flanke Huth, Kopfball Popp – Fußball kann so einfach sein.

Die beste Phase hatte die deutsche Elf in der Viertelstunde nach der Pause. Popp verpasste eine Flanke von Schüller knapp (48.), dann verfehlte Schüller eine Hereingabe von Däbritz (49.). Popp traf aus Abseitsposition (58.), dann scheitere sie per Kopf an der Latte (60.). Doch die deutsche Mannschaft verlor wieder den Faden und hatte nur noch in der Schlussphase zwei Chancen durch Sydney Lohmann. Das Aus war besiegelt.

Michael Rappe

Statistik:

Südkorea: J.-M. Kim – H.-R. Kim, Y.-J. Lee, S.-Y. Shim – H.-J. Choo, G.-R. Chun (63. E.-S. Park), S.-Y. Ji, S.-H. Cho (90. +10 C.-R. Kang), S.-G. Jang – Phair (86. M.-R. Moon), Y.-R. Choe. Trainer: Colin Bell. 

Deutschland: Frohms – Hagel, Hegering, Hendrich, Huth – Däbritz (64. Lattwein), Oberdorf – Bühl (64. Lohmann), Brand (84. Anyomi) – Schüller, Popp. Trainerin: Martina Voss-Tecklenburg.

Tore: 1:0 S.-H. Cho (6.), 1:1 Popp (43.)

Zuschauende: 38.945 in Brisbane 

Schiedsrichterin: Anna-Maria Keighley (Neuseeland) 

Das Spiel in der Zusammenfassung (ZDF)

Der Kommentar: Es lief einfach gar nichts rund

So überraschend wie dieses Vorrunden-Aus sein mag: So ganz unerwartet kamen die schwachen Leistungen der deutschen Elf bei dieser WM in Spiel zwei und drei nicht. In den letzten Testspielen, in der Vorbereitung und jetzt auch beim Turnier lief es einfach nicht rund.

Da war die durch verlängerten Urlaub gestörte Vorbereitung, dann die Testeritis der Bundestrainerin in den letzten beiden Vorbereitungsspielen, statt die Mannschaft einzuspielen. Bei der Nominierung schauten dann doch nicht wenige Experten überrascht drein. Trotz der Ausfälle von Giulia Gwinn und Carolin Simon wurde mit Sarai Linder eine Außenverteidigerin nicht nominiert, die auf beiden Seiten spielen kann. Da kann man auch mal mehr Mut zeigen und einem noch unerfahrenen Talent eine Chance geben.

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Paulina Krumbiegel war schon vor ihrer Muskelverletzung offenbar kein Thema mehr. Maxi Rall, eine der torgefährlichsten Verteidigerinnen der Bundesliga, war nicht mal im vorläufigen Aufgebot. Dass dann mit Felicitas Rauch eine weitere Außenverteidigerin verletzt ausfiel, war Pech. Für solche Fälle muss man aber gewappnet sein.

Mit der ganz schlechten Idee der Bundestrainerin, Svenja Huth auf der rechten Außenverteidigerposition einzusetzen, nahm das Unglück seinen Lauf. Sie hat defensiv einfach Schwächen, und ihrer offensiven Stärken wurde sie beraubt. Die Flanke zum 1:1 von Popp gegen Südkorea zeigte, wie es hätte laufen können oder müssen. Mit Chantal Hagel musste eine gelernte Mittelfeldspielerin, die aushilfsweise auch mal Innenverteidigerin spielen kann, links außen spielen. Ohne internationale Erfahrung auf dieser Position.

Ein deutlicher Unterschied zur EM im Vorjahr war die Formschwäche einiger Spielerinnen. Sara Däbritz war schwächste deutsche Spielerin bei diesem Turnier und blieb weit unter ihren Möglichkeiten. Warum sie gegen Südkorea noch einmal in der Startelf stand, verstand wohl niemand. Ihr fehlendes Tempo und ihre Passivität im Zweikampf waren schon zuvor aufgefallen. Warum nicht mal eine Laura Freigang bringen oder eine dynamische Tempospielerin wie Sydney Lohmann? Auch Lina Magull war von der EM-Form meilenweit entfernt, das gilt auch für Klara Bühl trotz passabler Vorstellung gegen Marokko. Und Lena Oberdorf zeigte gegen Südkorea auch nicht ihr bestes Spiel.

Alle Hoffnungen und Erwartungen schienen auf Alexandra Popp zu liegen. Mit vier Turniertoren hat sie ihre absolute Weltklasse gezeigt. Ihr Lattenkopfball wäre noch ein Tor wert gewesen. Aber ganz alleine kann sie es eben auch nicht richten. Es bleibt zu hoffen, dass sie noch weitermacht, um die jungen Spielerinnen, die jetzt ihre Chance bekommen müssen, zu führen. Die Doppelspitze mit Lea Schüller ist prinzipiell keine schlechte Idee. Eine Jule Brand muss den nächsten Schritt gehen, andere wie Janina Minge, Sjoeke Nüsken auch. Talente gibt es genug, das hat die U19-EM gezeigt. Sie müssen nur Spielzeit in den Vereinen bekommen. Wichtig ist aber auch eine weitere Qualitätssteigerung in der Bundesliga. Die Nationalspielerinnen müssen dort mehr gefordert werden. Siege mit 11:1 und 7:0 bringen keinem etwas.

Nach dem nächsten Desaster für den DFB – nach den Männern und der U21 – heißt es aber auch im Verband die richtigen Schlüsse zu ziehen. Eine bessere Ausbildung der Trainer:innen, andere Spielformen, selbstbewusste Spielerinnen, die auch mal Widerstände überwinden und sich durchsetzen können – das ist es, was der deutsche Frauenfußball braucht.

Der häufige Vergleich mit den Männern hinkt. Das missratene Turnier kann und darf jetzt nicht die sympathische und positive Ausstrahlung des Frauenfußballs in Frage stellen. Der Boom hat einen Dämpfer erhalten, ist aber nicht zu Ende. Zu tun gibt es gleichwohl genug.

Michael Rappe

2 Comments

  • Ich war einer der Zweifler, hoffte aber auch auf Besserung. Vor allem der Offensive traute ich zu, die Schwächen in der Defensive kaschieren zu können.
    Nach dem 6:0 gegen Marokko schien sich diese Hoffnung auch zu erfüllen. Und Null Gegentore verhieß auch Besserung im Abwehrriegel.
    Allerdings zeigte sich schon gegen den stärksten Gruppengegner, daß diese Hoffnung nur auf wackligen Füßen stand. Die alten Probleme tauchten wieder auf, und das Trainerteam hatte keine Mittel dagegen zu wirken. Trotz der vielen Ausfälle, die man so nicht einplanen konnte, bleiben gerade die angesprochenen Formschwächen an Martina und Britta kleben. Diese waren vorhersehbar, und man hätte bei der Auswahl der Spielerinnen darauf reagieren müssen, was nicht geschehen ist. Beide Trainerinnen wiederholten die Fehler ihrer Vorgängerinnen. Sie wählten nach Nase und Bauchgefühl, aber nicht nach Leistung aus. Steffi Jones kostete dies bereits den Job. Und auch dieses desaströse Ausscheiden bereits in der Gruppenphase muß Konsequenzen haben. Zuviel war auf das Pferd Hoffnung gesetzt worden, man würde sich schon irgendwie in das Turnier hinein kämpfen können. Dieser Gaul ist ziemlich schnell krepiert, und nun muß man mit den Konsequenzen leben.
    Das es genug Talente im deutschen FF gibt ist unbestritten. Allerdings sorgt die aktuelle Auslese genau dafür, daß die Nationalspielerinnen eben nicht genug gefordert werden. Alles konzentriert sich auf Bayern und Wolfsburg, ein bisschen darf Frankfurt noch mitmachen, aber dann ist der große Graben da. Kein gutes Klima für eine Verbesserung der aktuellen Situation.
    Was ist der Ausweg daraus? Ich habe auch nicht die Lösung parat. Vielleicht wäre die amerikanische Version die passende, wo nach möglichst großer Ausgeglichenheit der Klubs geschaut wird, um eine möglichst spannende Liga zu garantieren. Es muß sich etwas verändert, das steht fest! Wenn ich mir aber den DFB so anschaue, ist nur eine große Leere da.

  • Ein wichtiger Punkt. Die Bundesliga muss ausgeglichener werden. Ich würde zu Frankfurt auf jeden Fall noch Hoffenheim dazuzählen, denn so groß war der Unterschied letzte Saison nicht (2x 3:3). Aber es nützt natürlich nichts, wenn die Frankfurter und Hoffenheimer Talente von der U19-EM in ein oder zwei Jahren auch wieder nach Wolfsburg oder München streben. Hinter den großen Vier der Liga ist in der Tat ein ganz großer Graben (18 Punkte). Freiburg traue ich noch ein bisschen den Sprung nach weiter oben zu.

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